21.03.2014 16:45 Uhr

Neue Würze für die Knast-Alphabetisierung


Am 18.03.2014 wurde durch bekannte Wortakrobaten neue Würze in die Alphabetisierungsarbeit der JVA Würzburg gebracht. Der vom Projekt RAUS organisierte Poetry-Slam in der JVA Würzburg zeigte den Insassen und Bediensteten der Anstalt eindrucksvoll, welche Kräfte durch Wörter entfesselt werden können.


Für die erfahrenen Poetry-Slamer Dalibor Markovic und Tilman Döring war es der erste Auftritt hinter Gittern und beide zeigten sich von der Atmosphäre innerhalb der Würzburger Anstalt beeindruckt. Im Gegenzug zeigten sie den begeisterten Zuhörerinnen und Zuhörern ihren virtuosen Umgang mit Sprache.. Über 60 Gefangene und ein dutzend Beamte der JVA Würzburg fanden am Dienstagabend den Weg in die geräumige Aula der Strafanstalt.

Vollzugsbeamte und Gefangene verfolgen gemeinsam das Wortfeuerwerk auf der Bühne

 

Der Poetry-Slam in Würzburg wurde durch einen lockeren Talk zum Thema Lesen und Schreiben im Alltag ergänzt. Im bewährten Infotainement-Format führte Projektleiter Tim Tjettmers durch das Programm. Neben den Künstlern reiste der Lerner Uwe Boldt aus Lüneburg in die fränkische JVA, um den Betroffenen vor Ort durch seine eigene Erfolgsgeschichte Mut zu machen. Boldt erlernte selbst erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter den richtigen Umgang mit Buchstaben und Wörtern, hat dieses Problem aber inzwischen längst in den Griff bekommen und engagiert sich sehr dafür, dass es ihm andere gleichtun. Für sein Engagement wurde er vom Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung 2012 zum Botschafter für Alphabetisierung ernannt.

Uwe Boldt (rechts) im Gespräch mit Tim Tjettmers

 

Die Talkrunde wurde durch die Anstaltslehrerin Daniela Lissy und den ehrenamtlichen Alphabetisierungspädagogen Albrecht Tangerding komplementiert. Tangerding würdigte den Mut von Uwe Boldt, sich seinem Problem offen zu stellen und warb beim Publikum für die Teilnahme am Alphabetisierungskurs der JVA Würzburg. Rein statistisch gesehen gehörten etwa 15 Inhaftierte aus dem Publikum zur Zielgruppe der funktionalen Analphabeten. Jeder im Publikum dürfte mindestens einen Mitgefangenen kennen, welcher Probleme mit Schriftsprachlichkeit hat.

v.l.: Tilmann Döring (Slammer), Dalibor Markovic (Slammer), Tim Tjettmers (RAUS), Uwe Boldt (Lerner) sowie Daniela Lissy und Albrecht Tangerding (beide JVA Würzburg)

 

Für die Beamten war es nicht der erste Besuch des RAUS-Teams in der JVA. Bereits zwei Wochen zuvor, am 06.03.14, war RAUS zu Gast in Würzburg und sensibilisierte das Vollzugspersonal im Zuge einer Multiplikatorenschulung für das Thema Analphabetismus unter Gefangenen. Zugleich wurde zwischen RAUS und der Anstalt  beschlossen, die Kooperation zwischen der JVA Würzburg und dem Projekt RAUS zu intensivieren. Würzburg stößt als  sechster Modellstandort des Projekts zu dem vom Projekt initiierten Netzwerk zur Lese- und Schreibförderung im Justizvollzug dazu, welches somit um einen bayerischen Partner erweitert wird.

„Wir freuen uns sehr auf die Zusammenarbeit mit dem Projekt RAUS und sind sicher, dass unsere Alphabetisierung, das Netzwerk der Modellstandorte und das Projekt von einem Austausch und Wissenstransfer voneinander profitieren werden.“ erläutert Daniela Lissy (Anstaltslehrerin).

Der Abend wurde durch sehr bewegende Auftritte von zwei Inhaftierten der Würzburger Anstalt abgerundet. Tilmann Döring erteilte den ganzen Vormittag kostenlos Unterricht in der Kunst des Poetry-Slamens. Zwei der Workshop-Teilnehmer erklärten sich spontan bereit, ihre im Workshop erarbeiteten Texte, im Scheinwerferlicht der Bühne zu präsentieren und ernteten von den Mitgefangenen einen großen Beifall für den mutigen Schritt auf die Bühne und die Präsentation großartiger Texte.

Workshop-Teilnehmer präsentiert seinen Text dem Publikum


Projektleiter Tjettmers resümiert: „Wir danken den Verantwortlichen und den JVA-Beamten der JVA Würzburg, die diesen Abend für die Gefangenen ermöglichten und sind froh die Würzburger Kollegen in Zukunft als Modellstandortpartner mit im Boot zu haben. Des Weiteren gilt unser Dank Tilmann Döring für seinen kostenlosen Poetry-Workshop mit Strafgefangenen.“

Plakate der RAUS-Ausstellung „Wie lebt es sich in einer Welt ohne Buchstaben?“ in der JVA Würzburg

 

Bereits Wochen zuvor wurde die Wanderausstellung „Wie lebt es sich in einer Welt ohne Buchstaben?“ nach Würzburg geschickt, um Beamte und Häftlinge zur Auseinandersetzung mit dem Problem fehlender Schriftsprachlichkeit anzuregen.


Die Ausstellung ist nun auf dem Weg in andere Gefängnisse und auch weitere sensibilisierende Kulturveranstaltung in anderen Anstalten sind bereits in Planung.


Informationen

Am 01. Juli 2015 fand die RAUS-Fachkonferenz "Alphabetisierung und Grundbildung im Strafvollzug " im Sofitel Berlin Kurfürstendamm statt. Zur Dokumentation gelangen Sie hier.

Kostenlose Schulungen für Multiplikatoren aus den Bereichen Strafvollzug und Straffälligenhilfe durch. Mehr Informationen hier.

Zum Welttag des Buches 2015 wurde der Materialienpool veröffentlicht. Zum Materialienpool gelangen Sie hier.

Aktuelle Termine des Projekts RAUS finden Sie hier.